Ambulante Versorgungslandschaft: Was hat sich in 2024 getan?

Die wichtigsten Fakten und Veränderungen auf einem Blick

Hausärzte in Berlin und im Saarland besonders gefordert

Hausärzte in Berlin und im Saarland müssen im Schnitt deutlich mehr Patienten versorgen als in den übrigen Bundesländern: Auf jeden Hausarzt kommen dort mehr als 1.500 Einwohner. Die Situation könnte sich in den kommenden Jahren noch verschärfen: Unsere Versorgungsanalyse 2023 hatte gezeigt, dass das Saarland auch die höchste Quote an niedergelassenen Ärzten hat, die demnächst das Rentenalter erreichen (20,1 Prozent).

Ebenfalls über dem bundesweiten Durchschnitt von 1.371 Menschen pro Hausarzt liegen Brandenburg, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen: Dort kommen jeweils mehr als 1.400 Einwohner auf einen Hausarzt.

Niedersachsen, Bremen und Hamburg liegen mit einer zu versorgenden Einwohnerzahl zwischen 1.376 und 1.400 sehr nahe am bundesweiten Durchschnitt.

Noch besser sieht es für Hausärzte in Sachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein aus: Hier liegt die zu versorgende Einwohnerzahl zwischen 1.305 und 1.352.

Am entspanntesten ist die Lage in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern: Dort gibt es im Schnitt weniger als 1.300 Einwohner pro Hausarzt.

Große Unterschiede bei der ambulanten Versorgung in den Landkreisen

Vergleicht man die Dichte der ambulanten Leistungserbringer in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten, werden erhebliche Unterschiede sichtbar: Während beispielsweise auf jeden Leistungserbringer im Stadtkreis Heidelberg im Schnitt 169 Einwohner kommen, sind es im Kreis Landshut 1.055 Einwohner – das sind mehr als sechs Mal so viele.

Welche Landkreise im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt besser abschneiden, lässt sich in unserer Karte farblich ablesen: Blaue Gebiete haben eine höhere Dichte an Leistungserbringern, dort müssen Leistungserbringer also weniger Einwohner versorgen. Rote Gebiete dagegen weisen eine geringere Dichte an Leistungserbringern auf.

Wie viele Einwohner ein Leistungserbringer rechnerisch versorgen muss, zeigt die Karte interaktiv an, wenn man das gewünschte Gebiet auswählt. Berücksichtigt wurden hierbei alle Ärzte, Zahnärzte und Psychologischen Psychotherapeuten, die in der ambulanten Patientenversorgung aktiv praktizieren, also z.B. nicht im Ruhestand oder in Elternzeit sind.

Ärztinnen sind häufiger angestellt tätig als Ärzte

In der ambulanten Versorgung stehen Ärztinnen und Ärzten mehrere Arbeitsmodelle offen: Neben der klassischen Praxisniederlassung können sie auch angestellt in Praxen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) arbeiten. Im Jahr 2024 waren ein Drittel der Ärztinnen und ein Viertel der Zahnärztinnen angestellt tätig. Bei den Psychologischen Psychotherapeutinnen dagegen spielen angestellte Tätigkeiten bislang nur eine untergeordnete Rolle.

Bei den Männern liegt der Anteil der Angestellten in allen Gruppen niedriger: Lediglich jeder vierte Arzt und jeder siebte Zahnarzt ist angestellt tätig, bei den Psychologischen Psychotherapeuten sind es lediglich 6,4 Prozent.

Bei der Betrachtung der verschiedenen Arbeitsmodelle zeigt sich ein überdurchschnittlich hoher Frauenanteil bei der angestellten Tätigkeit in Praxen: Fast zwei Drittel der dort angestellten Mediziner sind weiblich. Dagegen halten sich die Anteile von Männern und Frauen bei den Praxisinhabern und Ärzten in MVZ die Waage.

Medizinische Versorgungszentren sind weiter auf dem Vormarsch

Die Zahl der Ärzte, die eine eigene Praxis führen, ist in 2024 erneut gesunken. Auch der Anteil derjenigen, die angestellt in Praxen arbeiten, ging leicht zurück.

Weiter gestiegen ist dagegen der Anteil der Ärzte, die in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) angestellt sind: Im Jahr 2022 lag der Anteil bei 13,8 Prozent, aktuell sind es 16,2 Prozent. In absoluten Zahlen entspricht das einem Zuwachs von ca. 7.000 Ärzten in den vergangenen zwei Jahren.

Die Top 5 der Fachrichtungen

Bei den Leistungserbringern in der ambulanten Versorgung stellen im Jahr 2024 die Zahnärzte die größte Gruppe mit einem Anteil von 20,4 Prozent, gefolgt von den Psychologischen Psychotherapeuten mit 11,9 Prozent. Die größte humanmedizinische Fachgruppe sind die Internisten mit einem Anteil von 6,6 Prozent der ambulanten Leistungserbringer. Auf Rang 4 liegen die Gynäkologen mit 4,9 Prozent, auf Rang 5 die Orthopäden mit 4,1 Prozent.

Gast-Kommentar: Es ist an der Zeit, unser System konsequent weiterzuentwickeln

Prof. Dr. Kai Wehkamp, Professor für Angewandte Künstliche Intelligenz in der Medizin und Geschäftsführender Partner bei Lohmann Konzept

Die Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit ist das originäre Ziel des medizinischen Versorgungssystems. Eine tragende Säule hierfür ist eine starke Primärversorgung, also eine flächendeckende, wohnortnahe Verfügbarkeit von hausärztlichen Angeboten durch Einzelpraxen, MVZ oder Primärversorgungszentren (Allgemeinmedizin, allgemeine Internisten und Kinderärzte). Hausärzte sollten im Idealfall als medizinischer Erstkontakt dienen und die ganzheitliche und kontinuierliche Versorgung über das gesamte Spektrum von Prävention, Kuration und Palliation koordinieren. Trotz dieser zentralen Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des Systems offenbart die Analyse der Hausarztdichte regionale Unterschiede von mehr als 25 Prozent, mit zu erwartenden spürbaren Ungleichheiten in der Versorgungsrealität. Auch darüber hinaus hat Deutschland bislang kein starkes hausärztliches Primärversorgungssystem und ist eines der westeuropäischen Schlusslichter in Bezug auf Lebenserwartung und Kosteneffizienz.

Das deutsche System steht im Widerspruch zur internationalen Studienlage und Erfahrungen aus vielen Modellprojekten, die seit Jahrzehnten ein klares Bild zeichnen: Starke Primärversorgungssysteme verbessern die Versorgungsqualität und reduzieren gleichzeitig Über-, Unter- und Fehlversorgung. Dies führt zu einer höheren Lebenserwartung, besserer Patientenzufriedenheit sowie zu geringeren Kosten.

Es ist an der Zeit, unser System durch gezielte Anreize und klare Rahmenbedingungen konsequent weiterzuentwickeln: Flächendeckende, digitale und ambulante Primärstrukturen sollten die zentrale Rolle in einem gut vernetzten System darstellen, das zusammen mit spezialisierten Fachärzten und stationären Einrichtungen eine bedarfsgerechte Versorgung koordiniert. Gleichzeitig muss ein Umdenken in der öffentlichen Wahrnehmung und politischen Debatte stattfinden: Umfassende ambulante Angebote, die effizientere und kürzere stationäre Behandlungen ermöglichen, stellen einen wichtigen und notwendigen Fortschritt in der Versorgung dar. Sie entlasten nicht nur das Gesundheitssystem, sondern unterstützen Patienten maßgeblich dabei, trotz akuter und chronischer Erkrankungen so weit wie möglich in ihrem vertrauten Umfeld zu leben.

Methodik & Rahmendaten

Untersuchter Zeitraum: 2024 (Stichtage für den Vergleich: 31.12.2023 / 31.12.2024)

Datenbasis: Strukturverzeichnis der Versorgung

Berücksichtigt wurden für die Analyse niedergelassene Ärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten sowie angestellte Behandler in Praxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

Nicht berücksichtigt wurden Behandler, die im stationären Sektor arbeiten, nicht in der Patientenversorgung tätig sind oder sich im Ruhestand, in Elternzeit o.ä. befinden.

Foto: Kai Wehkamp